Um Vorurteilen vorzubeugen: eine Studienfahrt ist kein Urlaub. Das durften wir heute erfahren, indem wir die Räumlichkeiten der 7. OS (Der siebten Grundschule) in Mostar nutzten, um die verbliebenen Referate zu präsentieren. Dank guter Kontakte zum Direktor Rasim Jakirovic und dem Lehrpersonal der Schule wurde uns das Lehrerzimmer zur Verfügung gestellt. Sofort wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um es uns Gästen so komfortabel wie möglich zu machen: Vorbereitung einer Leinwand, Bereitstellung von Kartenmaterial, Aktivierung der Klimaanlage, Vorbereitung von kühlen Getränken und Kaffee für die gesamte Gruppe, ... die bosnische Gastfreundschaft ist unübertroffen!
Dank des relativ späten "Unterrichtsbeginns" war heute auch für eine ausreichend lange Schlafphase der Studienfahrtteilnehmer gesorgt, sodass die Präsentationen in einer konzentrierten Atmosphäre stattfinden konnten. So wurden wichtige Fragen zum Status der Stadt diskutiert, der Kriegsverlauf in Bosnien und Herzegowina beleuchtet - eine notwendige Vorbereitung nicht nur für unseren zweiten Programmpunkt am heutigen Tag, sondern auch für den Aufenthalt in dieser wunderschönen Stadt, die auf den ersten Blick dank des Wiederaufbaus wie eine sorglose mediterrane Touristenmetropole wirkt. Der Reisende bemerkt erst nach genauerem Hinsehen die schweren Folgen des vergangenen Krieges. Nicht die zerstörten Gebäude an der ehemaligen Konfrontationslinie, sondern die gesellschaftlich-politischen Folgen sind das, was diese Stadt zu einem politischen Brennpunkt in der Region machen. Die Stadt ist faktisch immer noch geteilt, trotz der Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft (Kurzabriss zum Kriegsverlauf unter http://en.wikipedia.org/wiki/Mostar). Vor allem der ehemalige Bremer Bürgermeisters Hans Koschnick hat sich hier unter Einsatz seines Lebens von 1994-1996 als EU-Administrator engagiert, die zwischen "bosnischen Kroaten" und "Bosniaken" geteilte Stadt wieder zu vereinigen. Trotz einer mittlerweile einheitlichen Stadtverwaltung unter einem Bürgermeister sind viele Einrichtungen immer noch geteilt: die Universität, das Schulsystem, die Müllabfuhr, die Wasser- und Stromversorgung, ... Schlimmer noch sind die Mauern in den Köpfen einiger Menschen, die vor allem in der Wahlkampfphase von nationalistischen Politikern immer wieder mit neuen Vorurteilen gefüllt werden. Zum Glück trifft diese Propaganda nicht bei allen Menschen auf offene Ohren. Gerade die alteingesessene Stadtbevölkerung sehnt sich nach Normalität, nach der Toleranz, die diese Stadt vor dem Krieg prägte.
Diesen Status wieder herzustellen hat sich die OSCE (deutsch: OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) zum Ziel gesetzt. Nach einem kurzen Spaziergang bei hochsommerlichen Temperaturen erreichten wir ein kleines Haus, in dem diese Organisation untergebracht ist. Freundlich wurden wir empfangen und in einen Konferenzraum geführt, in dem uns bereits Informationsmaterialien erwarteten. Wir bekamen eine kurze Einführung in die Struktur der "OSCE Mission to BiH" und in die verschiedenen Aufgabenbereiche: Menschenrechte, Demokratisierung sowie Schul- und Bildungsaufgaben. Gerade der letzte Aufgabenbereich mag erstaunen, doch ist dieser langfristig gesehen der wichtigste, denn ein einheitliches, fortschrittliches und weltoffenes Bildungssystem ist der Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben und wirtschaftlichen Fortschritt in Bosnien und Herzegowina.
In unmittelbarer Nähe der OSCE befindet sich auch das Mostarer Gymnasium, in dem die wenn auch sehr langsamen Fortschritte dieser Anstrengungen im Bildungsbereich beobachtet werden können. Nachdem die beiden Nachkriegsgymnasien vor einigen Jahren wiedervereint wurden ("Zwei Schulen unter einem Dach"), haben zumindest diese Oberstufenschüler wieder persönlichen Kontakt untereinander und können feststellen, dass sich "kroatische" pubertäre Sorgen und Nöte nicht von "bosniakischen" unterscheiden...
Hier, am "Spanischen Platz", endete auch das offizielle Programm für den heutigen Tag. Nachmittag zur freien Verfügung, Abendprogramm heute gemeinsam: Gruppenabend bei Kerzenschein am Fuße der Stari Most.
Freitag, 5. September 2008
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